Arbeits- und Lernbedingungen



1. Bedarf der Beschäftigten:
Was brauchten Lehrkräfte und andere Professionelle an räumlichen Arbeitsmöglichkeiten in der Schule, um ihrer Aufgabe optimal nachzugehen? Eine Antwort haben Generationen von Architekten auf Geheiß der Bildungsministerien gegeben. Es wurden (als Arbeitsstätten) zur Verfügung gestellt:

  • 
Unterrichtsräume (Klassen- oder Fachräume),

  • Sammlungs- und Vorbereitungsräume für bestimmte Fächer (Naturwissenschaften, Kunst usw.),

  • ein Lehrerzimmer zum Aufenthalt und ggf. Vorbereitung sowie für Konferenzen, – insgesamt mit Funktionen völlig überfrachtet,
  • ggf. eine kleine Lehrerbibliothek,
  • 
ggf. ein Sprechzimmer für Elterngespräche, Beratungslehrer o.ä.,

  • dazu noch Büros für Schulleitung, ggf. Abteilungsleitung, Sekretariat, Hausmeisterei.

  • Genau genommen sind natürlich auch die Pausenhöfe, die Flure und ggf. Sozialflächen in den Gebäuden etc. mindestens bei der Aufsicht Arbeitsstätten für Lehrkräfte – zumindest ist die Arbeitsstättenverordnung in ihrer Neufassung von 2016 da recht eindeutig.


Was bei Schulplanung und -bau bis in dieses Jahrhundert hinein wenig oder gar nicht vorgesehen war und (tw. noch) ist, sind:

  • 
Büroräume oder Arbeitsplätze für Lehrkräfte,
  • 
eine räumliche Trennung von deren Pausenaufenthalt und der nicht unterrichtlichen Arbeit (Vor- unf Nachbereitung, Administratives)
  • sowie Rückzugsmöglichkeiten oder gar ein Ruheraum,

  • Teambesprechungsräume für kleinere Gruppen.
  • Raum für weitere Professionelle (Sozialpädagogen, therapeutische Fachkräfte, Schulbegleiter etc.) ist selbst heute noch kaum vorgesehen.
  • Die Liste ließe sich fortsetzen....


2. Bedarf der Lernenden:
Die Frage, wie die Lernumgebung, die Räume und Flächen für die Lernenden gestaltet sein sollten, damit der Schulbesuch möglichst erfolgreich verläuft und sie sich optimal entfalten können, wurde früher eigentlich nicht gestellt, sondern diese galt mit den schülerzahlbezogenen sog. Musterraumprogrammen für Klassen- und Fachräume im Prinzip als beantwortet, die traditionell nach dem Modell 'ein Lehrer unterrichtet in einem Unterrichtsraum eine Klasse' für die Schülerinnen und Schüler vorsahen:

  • Unterrichtsräume (Klassen- und Fachräume, sowie Sporthallen, ggf. -plätze),
  • Sanitäranlagen sowie Fluchtwege (Flure ohne päd. Nutzungsmöglichkeiten), macht bis zu 40% (!) des umbauten Raumes aus,
  • ggf. eine kleine Ausleihbibliothek, ab Ende der 60er Jahre ggf. ein SMV-Raum,
  • Pausenhallen/-räume (allerdings erst ab den 1950er Jahren, diese fehlen in den meisten Gründerzeitbauten, Kinder wurden auf dem Hof abgehärtet),
  • in ländlichen Regionen ab den 70er/80er Jahren ggf. Aufenthaltsflächen/-räume, um auf den Schulbus warten zu können.

Nicht vorgesehen waren aus Schülersicht in den klassischen Halbtagsschulen:

  • Räume für die Essensversorgung, (Brötchen-)Verkaufsstand, Mensen,
  • Aufenthaltsräume/-flächen für größere Pausen, Orte zum sich Treffen, Wohlfühlen und Chillen,
  • Differenzierungs- sowie Gruppenräume und -flächen für eigenständiges oder auch ungleichzeitiges Lernen und Arbeiten,
  • Räume und Flächen für selbständiges Arbeiten, wie Bibliothek oder Selbstlernzentrum, nach Möglichkeit auch außerhalb der Unterrichtszeiten geöffnet.


An dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass weder auf der Seite der Beschäftigten noch auf Seite der Lernenden die Raumprogramme darauf abzielen, für die gewünschten oder notwendigen Aktivitäten die optimalen räumlichen Strukturen zu schaffen und zur Verfügung zu stellen. Es ist vielmehr umgekehrt – mit einer wenig veränderbaren Vorstellung von Schule wird diese gebaut und ihre Nutzer müssen sich in ihrem Nutzerverhalten anpassen. Wir kennen einen solchen Strukturkonservativismus z.B. aus der Autoproduktion - ohne einen Verbrennungsmotor waren Autos bis in das aktuelle Jahrhundert hinein nicht denkbar. Eine Denkweise, die von der anfallenden Mobilität ausgeht und versucht, diese optimal und effizient zu organisieren, erschüttert aktuell Verkehrskonzepte und Industrie in ihren Grundfesten.

Vergleichsweise läuft Schulbau beim weiteren Festklammern an die historischen und in der eigenen Sozialisation erlebten Vorbilder Gefahr, die wesentlichen und notwendigen Veränderungen des Systems Schule in den Raumkonzepten nicht zu erfassen und zu berücksichtigen.
 Wir bauen damit am Bedarf vorbei, ein Bedarf, der durch folgende grundsätzliche Anforderungen neu ausgerichtet wurde und wird, die Schulen heute erfüllten müssten:

  • Schulen werden ganztägig organisiert und entwickeln sich vom Lernort zum Lebensort,
  • Schulen müssen für die unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler soweit wie möglich das individuell passende Lernarrangement anbieten,
  • Lernprozesse werden nicht mehr nur homogen organisiert, sondern die Ungleichzeitigkeit und Ungleichförmigkeit des Lernens wird ermöglicht,
  • Schulen fördern und fordern die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler,
  • Lehrkräfte und andere Professionelle verändern ihre Rolle weg vom Belehrenden hin zu einem Lernbegleiter,
  • Lehrkräfte entwickeln sich von Einzelkämpfern zu Teamarbeitern und leisten den größten Teil ihrer Arbeit in der Schule in dafür geeigneten Räumen.