Differenzierung

Nicht zeitgemäße Homogenitätsannahme im Bestandsbau
Die meisten Schulbauten im Bestand gingen von einer homogenen Schülerschaft aus, meistens waren die SchülerInnen nach Schularten differenziert - die Begriffe Hauptschule, Realschule, Gymnasium (und je nach Bundesland viele weitere!) sowie die jahrzehntelangen Schulformdebatten geben ein beredtes Beispiel vom deutschen Wesen, SchülerInnen nach deren vermeintlicher Leistungsfähigkeit zu sortieren. Dass Deutschland damit im internationalen Vergleich am Ende der Grundschule (also bei allen 10Jährigen) ziemlich alleine steht, - im Ausland werden auch im Sekundarbereich zumeist Altersjahrgänge (bis 14 oder gar 16 Jahren) zu bestimmten Schulformen zusammengefasst - soll hier nicht diskutiert werden. In allen Bundesländern ist die Grundidee der leistungsmäßigen äußeren Differenzierung für den Schulbau seit weit über hundert Jahren, aber im Prinzip auch heute noch, richtungsweisend.

Entwicklungsprobleme im Raumangebot
Nur sind mit diesem Konzept mittlerweile erhebliche Probleme verbunden:

  • Die Schülerschaft einer Schule ist heute in der Regel nicht mehr homogen zusammengesetzt, zugleich wird es mit der erwünschten Individualisierung des Lernens möglich, dass sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern einer Lerngruppe sich mit unterschiedlichem Tempo, mit verschiedenen Fachinhalten und Lernphasen beschäftigen.
  • Die Organisation eines solchen Lernkonzepts stößt dabei aber allzu leicht an die Enge des einen Klassenraumes - 60-70m2 bei 28 SchülerInnen lassen derartig differenziertes Arbeiten kaum zu.
  • Die Schülerschaft der nicht-gymnasialen Schulformen weist eine sehr starke Spreizung in der Leistungsfähigkeit, im Lernverhalten und in der sprachlichen Kompetenz im Deutschen auf, verhaltensauffällige oder gar Schülerinnen und Schüler mit eigentlich sonderpädagogischem Förderbedarf machen eine zusätzliche pädagogische Differenzierung notwendig.
  • Insbesondere ist im ländlichen Raum auf Grund des Rückganges der Schülerzahlen ein dreigliedriges Schulangebot häufig nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben – der wachsende Trend zur Schulform Gymnasium verstärkt diese Entwicklung, die Schulform ‚Hauptschule‘ (oder Werkrealschule, Mittelschule o.ä.) mit den ‚am wenigsten leistungsfähigen‘ Schülerinnen und Schülern hat Existenzprobleme und verkommt u.U. zur ‚Restschule‘, die Schülerschaft dort hat häufig weit überproportional einen Migrationshintergrund (über 80-90%).
  • In all diesen Schulen sind heute neben den Stammlehrkräften viele weitere Professionelle tätig, die ein vielfältiges Förder- und Unterstützungsangebot umsetzen. Diese benötigen Räume außerhalb der Klassenräume.

Räumliche Differenzierungsmöglichkeiten
Die zunehmende Heterogenität bedingt allerdings strukturell andere Anforderungen an das Raumangebot – das Zauberwort heißt hier: Räumliche Differenzierungsmöglichkeiten:

  1. Differenzierungsräume zur Lösung der Probleme stehen oben auf der Liste der Wünsche und Forderungen. Sie sollten in unmittelbarer Nähe zu den Unterrichtsräumen liegen und einerseits für Kleingruppen oder Einzelne mit weiteren Fachkräften (Doppelbesetzung, Sonder-, Sozial- oder Sprachpädagogen, Therapeuten (Ergo-, Logo-, ggf. auch Physio-), Lernbegleitung oder ggf. auch Ehrenamtliche etc. genutzt werden können. Andererseits wünschen sich die Lehrkräfte diese Räume auch für leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler, die individualisiert und selbständig im Nebenraum arbeiten – dazu wird in der Regel eine Sichtverbindung aus dem Hauptraum (auch zur Erfüllung der Aufsichtspflicht!) als unabdingbar gefordert.
  2. Flurflächen stehen aus Brandschutzgründe in der Regel für die pädagogische Nutzung nicht zur Verfügung, machen aber bis zu 40% des gesamten umbauten Raumes einer Schule aus. Insofern wundert es nicht, dass an vielen Schulen aus der Not zur Differenzierung (den Bestimmungen zur Sicherheit widersprechend!) Schülerinnen und Schüler zeitweise ‚auf den Flur geschickt werden‘, um die Enge des Klassenraumes bei z.B. Gruppenarbeiten auflockern zu können.

Maßnahmen zur Schaffung von Differenzierungsmöglichkeiten

  1. Sanierung oder Umbau im Bestand: Hier gibt es zunächst die Möglichkeit des sog. Klassenraum-plus-Modells. Da gerade in den sehr alten Schulgebäuden die Klassenräume recht klein dimensioniert sind, kann man beim Umbau aus drei (kleinen) Klassenräumen zwei größere mit einem dazwischen liegenden Differenzierungsrum schaffen, der dann von beiden Klassen nach Absprache genutzt werden kann und zu beiden Haupträumen eine Sichtverbindung haben sollte – idealerweise kann man diese, falls gewünscht, durch Pinnwandelemente o.ä. auch zeitweise unterbrechen. Direkte Durchgänge machen eine Nutzung einfacher, ein Zugang zum Flur sollte für eine eventuelle externe Nutzung ebenfalls vorhanden sein.
  2. Aktivierung der Flurflächen: Hier hilft bei Sanierung oder Neubau nur ein grundsätzlich mit dem Brandschutz abgestimmtes Konzept. Das Zauberwort ist hier ein ‚Compartment‘ oder auch eine 'Nutzungseinheit' genannte Fläche von z.B. 400m2, die insgesamt pädagogisch genutzt werden darf, sofern zwei getrennte Fluchtwege vorhanden sind. Da die Brandschutzbestimmungen in den Bundesländern verschieden sind, hilft hier nur eine sorgfältige Abstimmung mit den entsprechenden Behörden vor Aufnahme der Baumaßnahmen.
  3. In Deutschland leider kaum realisiert, dafür in den Niederlanden und in Skandinavien Standard im Schulbau sind ‚Sprinkleranlagen‘, die bei der Nutzung des umbauten Raumes ganz andere pädagogische Freiheiten ermöglichen – dieser Punkt ist hier der Vollständigkeit halber erwähnt - ein Sofa unter einer Sprinkleranlage stellt eben keine Brandlast mehr da.