Multiprofessionalität

Multiprofessionelle Teams

Das Personal an Schulen besteht traditionell aus Lehrkräften, sieht man von den Hausmeistern und Sekräterinnen einmal ab. Punkt. Andere Berufsgruppen kommen viel zu wenig in den Blick. Dabei besitzen manche Berufsgruppen hervorragende Spezialqualifikationen für den pädagogischen Prozess, die man für eine moderne Ausbildung der Schülerinnen und Schüler bestens nutzen könnte. Nur leider ist die Stellenstruktur an den Schulen dafür kaum oder gar nicht ausgerichtet. Sozialpädagogische Fachkräfte oder Sonderschullehrkräfte findet man an Gymnasien kaum und auch an anderen Schulformen erfolgt hier mit der zunehmenden Inklusion erst langsam ein Umdenken. Von Fachkräften anderer Professionen kann man vielerorts nur träumen, wie z.B.:

1.EDV-Spezialisten, Netzwerkbetreuung, Homepagedesign usw.:

Heutige Schulen halten häufig bis zu 200 Rechner oder mehr im Schulnetz vor, dazu noch eine erhebliche Zahl an Smartboards, elektronischen Anzeigen etc. Die Betreuung übernehmen in der Regel Lehrkräfte inkl. Softwareupdates und Benutzerkontenverwaltung, im Extremfall schrauben diese auch noch spätabends an den Geräten oder Servern herum, weil es keine Stellen an den Schulen gibt, die für derartiges spezialisiert sind und die KollegInnen entlastet. Entscheidender Vorteil einer festen Stelle für diesen Bereich wäre, dass dieser Kollege nicht gerade im Unterricht oder auf Klassenreise ist, wenn es ein Problem gibt oder ein solcher Stelleninhaber sich nach festen Wartungs- und Updateintervallen um die 'Maschinen' kümmert und dabei nicht durch Zeugniskonferenzen etc. getaktet wird.

Hilfsweise gibt es für viele Schulen externe Wartungsbüros, die z.B. die Serverarchitektur, Softwareupdates betreuen und insbesondere für Fehlerbehebung eingeschaltet werden können (online/telefonisch). Hierfür müssen in HH z.B. 50'% des EDV-Wartungsetats der Schule pauschal an das entsprechende Unternehmen abgeführt werden.

Man stelle sich dazu im Vergleich ein Wirtschaftsunternehmen vor, das bei 200 Rechnerarbeitsplätzen ohne eigene IT-Abteilung arbeitet, sondern 2 KollegInnen beschäftigt, die 'nebenbei' mit einem Fünftel (oder noch weniger!) ihrer Arbeitszeit das gesamte Netz betreuen und es darüber hinaus noch eine externe Hotline gibt, die Mo-Fr von 8.00-15.00 Uhr besetzt ist.

2. Bibiothekar/in

Informationsbeschaffungskompetenz oder Recherchekompetenz heißen moderne Ziele, die den Schülerinnen und Schülern in den Sekundarschulen vermittelt werden sollen, es geht darum, auch die ständig wachsende Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund in kürzester Zeit studierfähig zu machen. Doch die Einrichtung von schulischen Bibliotheken und Informationszentren lässt zu wünschen übrig und bibliothekarische Fachkräfte sucht man an vielen Schulen vergeblich, obwohl diese in anderen Ländern mittlerweile Standard sind.  

In HH gab es ab 2009 ein Modellprojekt mit 9 Schulen, die in Zusammenarbeit mit der HÖB (Hamburger öffentliche Bücherhallen) nicht nur völlig neu ausgestattet wurden, sondern auch eine feste (befristete) Bibliothekarsstelle erhielten. Die Erfolge waren überwältigend, dennoch wurde das Projekt 2012 eingestellt. Einige der Pilotschulen haben mit eigenen Mitteln allerdings das Projekt weiter betrieben, so gehört am Goethe-Gymnasium nunmehr die Bibliothekarin zum ganztägigen festen Personalstamm. Die Finanzierung erfolgt aus dem sozialpädagogischen Stellenanteil einer gebundenen Ganztagsschule. Dementsprechend ist die Tätigkeit auch sozialpädagogisch ausgerichtet, so betreut die Fachkraft am Nachmittag viele Kinder, die gern länger in der Schule bleiben (müssen), 'leiht ihr Ohr' bei kleinen oder größeren Problemen den Schülerinnen und Schülern und arbeitet dann eng mit den Beratungslehrkräften zusammen. Auch die Betreuung von Teilgruppen während des Unterrichts, die mit konkreten Arbeitsaufträgen in die Bibliothek geschickt werden, gehört zum Aufgabenspektrum, für die Fachlehrkraft besteht dann die Möglichkeit, mit der Restgruppe differenziert zu arbeiten. 

Gymnasial- bzw. Oberstufenspezifisch ist dann der Einsatz bei der Vermittlung von methodischen Kompetenzen bei der Informationsbeschaffung und -bewertung in der gymnasialen Oberstufe, hier verfügt eine fachlich ausgebildete Person häufig über erheblich differenziertere Kompetenzen als eine Fachlehrkraft. Am Goethe-Gymnasium führt die Fachkraft spezielle, verpflichtende Module für alle OberstufenschülerInnen durch.

3. Schulbegleitung

Die Inklusion machte es schlagartig notwendig, was vorher nur vereinzelt erfolgte: Für einzelne Kinder, die über besondere Handicaps verfügen, muss es bei der Beschulung speziell ausgebildete Betreuungskräfte geben, die bei allen Problemen dieser Kinder sich um das einzelne Kind kümmern. Dazu sind sie in der Schule mit den Lehrkräften zusammen in den Klassen tätig. Ihr Aufgabenspektrum umfasst dabei bei körperlichen Einschränkungen der Kinder alle Tätigkeiten zur Bewältigung des täglichen Lebens und bei geistigen oder Verhaltensproblemen die vielfältigsten Unterstützungsformen im Unterricht oder auch zu den Pausenzeiten. 

Darauf sind viele Lehrkräfte gegenwärtig nicht eingestellt bzw. entsprechend ausgebildet, denn eine Schulbegleitung ist u.U. den ganzen Tag mit dem jeweiligen Kind in der Klasse, so dass es vielfältige Absprachen usw. geben muss. Auch die erforderlichen Teamzeiten sind im Arbeitszeitansatz der Kultusbürokratie in den seltensten Fällen vorgesehen.

Hier bedarf es einerseits ein Umdenken bzw. vor allem eine systematische Fortbildung der Lehrkräfte, andererseits muss auch die öffentliche Hand bei ihren Finanzierungsansätzen berücksichtigen, dass die politisch und gesellschaftlich gewünschte Inklusion deutlich teurer ist, als die frühere Aussonderung über Förder- oder Sonderschulen.

Die Schulbegleitungen sind für den konkreten Unterricht aber eine echte Bereicherung, denn die Fachkräfte stehen in allen Problemsituationen zur Verfügung und ein entsprechend ausgerichteter Unterricht kann teamorientiert durchgeführt werden, was auch den nicht behinderten Kindern zu Gute kommt.

4. Therapeutische Fachkräfte (insb. Ergo- und Logopäden)

Gerade in Grundschulen sind die Rückstände einzelner Kinder im Bereich der motorischen und sprachlich-artikulatorischen Entwicklung gravierend, so dass hier eine spezialisierte Hilfe und Förderung dringend angeraten ist. Leider wird diese Aufgabe in der Regel erst einmal den Eltern überantwortet (da die entsprechenden Kosten im Gesundheitssystem abgerechnet werden müssen), was die Folge hat, dass gerade besonders Hilfsbedürftige in den entsprechenden Praxen nicht ankommen und eine Förderung unterbleibt, da eine schulisch systemische Förderung nur an einzelnen Schulen eingerichtet worden ist. Hier würden Kooperationsverträge mit Praxen und Einrichtungen weiterhelfen, allerdings sind dafür auch räumliche Angebote in den Schulen vorzuhalten, die aktuell ebenfalls fehlen. Von dem flächendeckenden Einsatz einer Schulkrankenschwester wie in Finnland sind wir in Deutschland auf Grund dieser Struktur noch meilenweit entfernt.

Der Versuch des Autors dieser Seite auch eine psychotherapeutische Hilfestruktur über mehrere Jahre in der Schule zu implementieren, zeigte die große Notwendigkeit solcher Angebote, konnte aber mangels einer bedürfnisorientierten Honorierungslösung nicht durchgehalten werden – das deutsche Zuständigkeits(un)wesen verhindert in all diesen Fällen eine wirksame Hilfe.

5. Sozialpädagogische Kräfte und ErzieherInnen

Mit dem Ausbau der Ganztagsbeschulung und der Einführung der Inklusion sowie der Zunahme der Gemeinschaftsschulen und der damit verbundenen Abkehr von der Annahme einer homogenen Lerngruppe (Klasse) werden weitere Fachkräfte im pädagogischen Prozess unverzichtbar. ErzieherInnen und sozialpädagogische Fachkräfte arbeiten mit den Lehrkräften zusammen und parallel, entweder im gleichen Raum oder auch in Differenzierungsräumen und -flächen. Dies macht eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit notwendig, wofür nicht immer die zeitlichen und räumlichen Ressourcen (schul- oder trägerseitig) gestellt werden. Auch ist die z.T. deutlich unterschiedliche Bezahlung von Lehrkräften und solchen Fachkräften ebenso eine Quelle von Konflikten wie Unklarheiten bei der Einsatz- und Zuständigkeits- und Vorgesetztenregelung. Auch unterschiedliche Urlaubs- und Ferienregelungen im Vergleich zu Lehrkräften stoßen nicht immer auf Akzeptanz. Gerade bei großen Gesamt-/Gemeinschaftsschulen mit einem hohen Inklusionsanteil bedarf es hier einer sorgfältigen Steuerung durch die Schulleitung.

6. Sonderpädagogische Fachkräfte

Die schrittweise Reduzierung der Förder-/Sonderschulen bei gleichzeitig steigender Beschulung von Kindern mit besonderen Handicaps im Regelschulwesen führt dazu, dass die Arbeitsmöglichkeiten dort für diesen besonders ausgebildeten Personenkreis abgebaut werden und sie stattdessen in den Regelschulen eingesetzt werden (müssen). Damit sind z.T. handfeste Probleme verbunden, da der Einsatz (die Stundenzuweisung) in der Regel nach der Zahl der Kinder und der jeweiligen Behinderung vorgenommen wird. Nur bei recht großen Systemen kommen Nachfrage/Bedarf und vorhandener Stundenumfang dieser Spezialisten zur Deckung. Bei nur wenigen InklusionsschülerInnen an einer Schule müssen die sonderpädagogischen Fachkräfte zwischen mehreren Standorten pendeln, darunter leidet die Qualität und Kontinuität der sonderpädagogischen Arbeit ebenso wie evtl. auch die Motivation der MitarbeiterInnen – vom sinnlosen zeitlichen Ressourcenverbrauch einmal ganz zu schweigen.

7. Honorarkräfte

Mit der Einführung der Ganztagsschulen wurden eine große Zahl zusätzlicher BetreuerInnen für ‚den Ganztag‘ notwendig, der vor allen Dingen – da in der Regel kommunal finanziert – so wenig wie möglich kosten sollte. Qualifikation und Qualität des Angebots waren zweitrangig, stundenweise Beschäftigungsverhältnisse oder andere prekäre Arbeitsverhältnisse waren und sind an der Tagesordnung, die bis zur Nichtabführung von Sozialbeiträgen trotz vorliegender abhängigen Beschäftigung reichten (vgl. 2013 Niedersachsen).  Trotzdem gibt es immer noch Versuche, die Betreuungstätigkeit als selbständige Arbeit zu definieren oder z.B. bei Studierenden sozialabgabenseitig ‚Trittbrett zu fahren‘ - nämlich keine Sozialbeiträge abführen zu müssen, weil die Tätigkeit dem Vorbehalt der 'Geringfügigkeit' unterfällt.

Möglichkeiten, hier gegenzusteuern wären schärfere Regelungen bzgl. der Scheinselbständigkeit oder den Studierenden bessere Möglichkeiten einzuräumen, schulische Tätigkeiten rentenwirksam zu machen - der Einsatz von Studierenden wäre allerdings dann für den Träger teurer.

8. Ehrenamtliche

Vielerorts funktioniert die ganztägige Beschulung/Betreuung von Kindern auch nur durch ehrenamtlichen Einsatz. Immerhin wird dieser durch Schulleitungen und Amtsträger in aller Regel auch gewürdigt, aber auch diese Situation weist auf das grundsätzliche Problem hin, dass es in unserer Gesellschaft keine systemische Würdigung für solche Tätigkeiten gibt, Erziehung und Pflege gibt es ‚kostenlos‘, noch nicht einmal Rentenanrechnungszeiten werden berücksichtigt. Das könnte man ändern.